Ausgangslage zur Nutzungsdauer bei Immobilien

Der Gesetzgeber sieht bei Gebäuden den Regelfall einer Abschreibung über 50 Jahre vor. Hierbei unterscheidet er bei dem Buchstaben b) nicht nach dem Alter der Immobilie zum Zeitpunkt des Kaufs. Eine gekaufte Immobilie mit Baujahr 1955 wird also ebenso in 50 Jahren ab Kaufdatum abgeschrieben wie eine Immobilie mit Kaufdatum 2020. Beide würden also im Beispiel eines Kaufs durch den Käufer in 2025 bis zum Jahr 2075 brauchen, bis sie abgeschrieben werden.
Der nun für die Steueroptimierung wichtige Satz steht in demselben Absatz, Satz 2 lautet:
„Beträgt die tatsächliche Nutzungsdauer eines Gebäudes (…) in den Fällen des (…) Buchstabe b weniger als 50 Jahre, (…) so können (…) die der tatsächlichen Nutzungsdauer entsprechenden Absetzungen für Abnutzung vorgenommen werden.“
Heißt mit anderen Worten: § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG räumt dem Steuerpflichtigen ein Wahlrecht ein, ob er sich mit dem typisierten AfA-Satz zufriedengibt oder eine tatsächlich kürzere Nutzungsdauer geltend macht und darlegt.
Wenn der Käufer als Steuerpflichtiger dem Finanzamt darlegen kann, dass das Gebäude in dem Zustand keine 50 Jahre genutzt werden kann, so ist die Nutzungsdauer entsprechend zu kürzen.
Wie legt man dem Finanzamt die tatsächliche Nutzungsdauer dar?
Der Bundesfinanzhof gibt hierzu in einem sehr wichtigen Urteil vom 28.07.2021 – IX 25/19 wertvolle Hinweise: Der Zeitraum, in dem ein Gebäude voraussichtlich (seiner Zweckbestimmung entsprechend) genutzt werden kann, wird bestimmt durch
- Technischen Verschleiß
- Wirtschaftliche Entwertung
- Rechtliche Gegebenheiten, die die Nutzungsdauer begrenzen könnten
Was ist die technische Nutzungsdauer, was meint „technischer Verschleiß“?
Damit ist gemeint, dass durch technischen Verschleiß der tragenden Teile, d.h. insbesondere des Rohbaus, das Gebäude in seiner Gesamtheit in seiner Nutzungsfähigkeit beeinträchtigt ist.
Nicht ausreichend ist dagegen ein nicht zeitgemäßer Wohnstandard.
Vorsicht: Das Finanzamt legt hier – wenig überraschend – einen sehr „strengen Maßstab“ an, was eine verkürzte Nutzungsdauer aufgrund technischen Verschleiß angeht. So
- genüge es nicht, wenn einzelne unselbständige Teile des Gebäudes zur Erneuerung oder Ersetzung anstehen.
- Wenn zukünftig Modernisierungen anstehen, zum Beispiel die Erneuerung der Heizungsanlage oder Erneuerungen der Fenster etc., dann sei das für sich nicht geeignet, eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer zu belegen, usw.
- Jeder Eigentümer habe ein grundsätzliches Interesse daran, eine Immobilie instand zu halten, um das Gebäude technisch weiter nutzen und auch zukünftig die für eine rentable Nutzung notwendigen Mieterträge generieren zu können. In Anbetracht dessen seien entsprechende Instandhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen zur technischen Erhaltung und zur möglichst wirtschaftlichen (rentablen) Nutzung des Gebäudes bei der Schätzung der tatsächlichen Nutzungsdauer zu unterstellen
- Es reiche auch nicht aus, pauschal auf das Alter der Gebäude abzustellen
Dem ist das FG Münster, Urteil vom 27.04.2023 – 1 K 487/19 E., mit überzeugender Begründung nicht gefolgt! Gerade weil die 2010 gültige ImmoWertV explizit festgehalten hat: „Instandsetzungen oder Modernisierungen oder unterlassene Instandhaltungen oder andere Gegebenheiten können die Restnutzungsdauer verlängern oder verkürzen“.
Was ist gemeint mit „wirtschaftlicher Entwertung“?
Damit ist gemeint, dass das Objekt wirtschaftlich verbraucht ist. Dies ist der Fall, wenn die Möglichkeit einer wirtschaftlich sinnvollen (auch anderweitigen Nutzung) oder Verwertung endgültig verfallen sei. Wenn die wirtschaftliche Nutzungsdauer kürzer ist als die technische Nutzungsdauer (salopp formuliert: Zwar nicht baufällig, aber nicht mehr vermietbar), kann sich der Steuerpflichtige hierauf berufen.
Braucht es ein Gutachten?
Nein. Das stellt der BFH in seiner Entscheidung ausdrücklich klar:
„Die Vorlage eines Bausubstanzgutachtens ist nicht Voraussetzung für die Anerkennung einer verkürzten tatsächlichen Nutzungsdauer.“
Sondern der Käufer bzw. Steuerpflichtige kann sich jeder Darlegungsmethode bedienen, die im Einzelfall zur Führung des erforderlichen Nachweises geeignet ist.
Was ist dann als Nachweis erforderlich?
Erforderlich ist, dass aufgrund der Darlegungen des Steuerpflichtigen der Zeitraum, in dem das maßgebliche Gebäude voraussichtlich seiner Zweckbestimmung entsprechend genutzt werden kann, mit hinreichender Sicherheit geschätzt werden kann.
Möglich ist etwa (und wurde so im Verfahren vor dem FG Münster erfolgreich gemacht) eine Ermittlung auf der Grundlage der Immobilienwertermittlungsverordnung – ImmoWertV. Nach der alten ImmoWertV von 2010 hieß es dort in § 6 Abs. 6:
„Die Restnutzungsdauer ist die Zahl der Jahre, in denen die baulichen Anlagen bei ordnungsgemäßer Bewirtschaftung voraussichtlich noch wirtschaftlich genutzt werden können; durchgeführte Instandsetzungen oder Modernisierungen oder unterlassene Instandhaltungen oder andere Gegebenheiten können die Restnutzungsdauer verlängern oder verkürzen. Modernisierungen sind beispielsweise Maßnahmen, die eine wesentliche Verbesserung der Wohn- oder sonstigen Nutzungsverhältnisse oder wesentliche Einsparungen von Energie oder Wasser bewirken.“
Und dann vergibt man für dass jeweilige Gebäude sogenannte „Modernisierungspunkte“ nach der Punktrastermethode. Die Punktrastermethode funktioniert folgendermaßen:
- Ausgangspunkt ist die übliche Gesamtnutzungsdauer der Immobilie
- Das tatsächliche Baujahr wird als Grundlage genommen
- Durch die Vergabe von Modernisierungspunkten kann die Restnutzungsdauer modifiziert werden.
Die Punktevergabe erfolgt für verschiedene Bauteile und Modernisierungsmaßnahmen:
- Dach (max. 30 Punkte)
- Fassade (max. 30 Punkte)
- Fenster (max. 30 Punkte)
- Sanitäranlagen (max. 30 Punkte)
- Heizung (max. 30 Punkte)
- Elektroinstallation (max. 30 Punkte)
- Sonstige wesentliche Bauteile (max. 20 Punkte)
Insgesamt sind maximal 200 Punkte möglich. Diese Punkte werden dann in eine modifizierte Restnutzungsdauer umgerechnet, die steuerlich angesetzt werden kann.
D.h. ein Käufer kann auch komplett ohne (Steuer-)Berater solch eine verkürzte Nutzungsdauer darlegen und beim Finanzamt erreichen?
Im Grundsatz ja. In der Praxis würden wir das davon abhängig machen, wie erfahren der Käufer im Umgang mit Finanzbehörden ist. Und wie wichtig das Ergebnis wirtschaftlich ist.
Wir haben noch abschließend ein Beispiel, welche finanziellen Auswirkungen die verkürzte Nutzungsdauer haben kann:
Wohngebäude Baujahr 2015 in 2025 für 1.000.000 € erworben und es gemäß § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG über 50 Jahre (2 % p.a.) abgeschrieben.
- Bisherige Abschreibung (2015–2023, also 9 Jahre):
- 9 × 20.000 € = 180.000 €
- Restbuchwert Ende 2023: 1.000.000 € – 180.000 € = 820.000 €
- Restnutzungsdauer nach altem Plan: 50 – 9 = 41 Jahre
Vorlage eines Antrags beim Finanzamt mit einer schriftlichen Begründung. Das Finanzamt akzeptiert die neue Restnutzungsdauer von 20 Jahren.
Neue Abschreibung ab 2024:
- Restbuchwert zu Beginn 2024: 820.000 €
- Neue Restnutzungsdauer: 20 Jahre
- Neue Abschreibung: 820.000 € ÷ 20 Jahre = 41.000 € pro Jahr
Somit Vorteil pro Jahr 21.000 €.
Wenn Sie zu unserem Beitrag allgemeine Verständnis Fragen haben oder ergänzend etwas vermissen, lassen Sie uns das gerne wissen.
Selbstverständlich stehen wir Ihnen auch gerne zur Seite, um konkret in Ihrem Fall gegenüber dem Finanzamt eine verkürzte Nutzungsdauer zu erreichen. Kontaktieren Sie uns in diesem Fall gerne telefonisch oder per E-Mail. Wir beraten bundesweit.