Was war passiert in der Arztpraxis?
Ein Zahnarzt aus Italien hatte mit der italienischen Schwester der GEMA (im Folgenden: SCF) darüber gestritten, ob in seiner privaten Zahnarztpraxis als Hintergrundmusik abgespielte Tonträger zu lizenzieren seien. Dabei hatte die SCF eine öffentliche Wiedergabe der musikalischen Werke behauptet und die entsprechenden Gebühren vor den italienischen Gerichten zu erstreiten versucht. Der Zahnarzt wehrte sich insbesondere mit dem Argument, die SCF sei für die Beitreibung der entsprechenden Lizenzgebühren nicht zuständig. Selbst wenn dies der Fall sei, so wäre doch zumindest keine öffentliche Wiedergabe gegeben. Private Zahnarztpraxen stellen im Gegensatz zu Räumlichkeiten des öffentlichen Gesundheitsdienstes keine öffentlichen Örtlichkeiten dar. Nachdem die Gerichte sich nicht über die Auslegung der einzelnen Aspekte einig waren beziehungsweise diese für europarechtlich entscheidend hielten, erfolgte eine Übermittlung an den EuGH.
Was entschied der EuGH?
Der EuGH lehnte eine öffentliche Wiedergabe bereits im Ausgangspunkt ab. Dabei stützte er sich insbesondere auf folgende Argumente: Eine öffentliche Wiedergabe besteht in der Regel nur dort, wo sich die Wiedergaben auf das wirtschaftliche Ergebnis des Geschäfts auswirken sollen und dazu geeignet sind. Bei einer Arztpraxis ist das nicht so, da Patienten keine besonderen Vergütungen für die musikalische Untermalung der ärztlichen Leistung zahlen. Auch begeben sich die Patienten nicht für die musikalische Untermalung in die Praxis, sondern einzig und allein für die Zahnbehandlung. Die Widergabe von Tonträgern ist dabei nicht Teil der Behandlung. Auch würden die Patienten lediglich „zufällig“ erreicht. Sie sind nicht aufnahmebereit für die Wiedergabe der Musik. Gleichzeitig stellen nach den Ausführungen des EuGH die Patienten eine stabile Gruppe dar, die eine Gesamtheit der potenziellen Leistungsempfänger darstelle. Dritte haben in der Regel keinen unmittelbaren Zugang zur Behandlung.
Hat sich der Bundesgerichtshof (BGH) schon zu dem Fall geäußert?
Nicht exakt zum verhandelten Fall, dieser fand ja in Italien statt. Dennoch bezog der BGH zu einem ähnlichen Fall Stellung. In der Entscheidung des BGH vom hatte der BGH folgenden Fall zu entscheiden:
Ein Zahnarzt lässt in seiner Praxis über ein Radio Hintergrundmusik spielen. Dabei schloss er im Jahr 2003 einen Lizenzvertrag mit der GEMA ab, durch den eine Lizenzierung stattfand. Als Reaktion auf das EuGH-Urteil, welches in diesem Fall für den gesamten europäischen Rechtsverkehr absolut bindend war, kündigte der Zahnarzt den Lizenzvertrag mit der GEMA außerordentlich. Die GEMA sah die Kündigung als unwirksam an und verlangte eine Zahlung für den Zeitraum vom 01.06.2012 bis zum 31.05.2013. Nachdem Amts- und Landgericht Düsseldorf der GEMA jedenfalls teilweise die geltend gemachten Forderungen zugestanden hatten, wies der BGH die Klage der GEMA ab. Der Zahnarzt war zur außerordentlichen fristlosen Kündigung des Lizenzvertrages aufgrund der Entscheidung des EuGH berechtigt. Dies begründete der BGH damit, dass sich durch das Urteil des EuGH die Voraussetzungen derart grundlegend geändert hätten, dass eine weitere Vertragsbindung dem Arzt nicht mehr zugemutet werden konnte.
Besteht ein Unterschied zwischen CDs und Radio beziehungsweise Streaming?
Für die Lizenzierungspflicht selbst ist es nicht entscheidend, welche Art der Musiknutzung vorliegt. Hieran richtet sich bei bestehender Lizenzpflicht lediglich die Höhe der zu entrichtenden Gebühren. Einzelheiten zu dieser Thematik entnehmen Sie unserem Artikel zu GEMA-Tarifen. Ist also eine Lizenzpflicht bereits dem Grundsatz nach nicht gegeben, so ist die Art und Weise der Wiedergabe nicht mehr von Bedeutung. Bei Nutzung einer Streaming-Plattform (beispielsweise Spotify) kann es jedoch zu einem anderen Problem kommen. Spotify ist gemäß den momentan geltenden AGB nicht für den wirtschaftlichen Gebrauch, also die Nutzung im Betrieb, gedacht. Vielmehr handelt es sich grundsätzlich um ein für den Privatgebrauch gedachtes Portal. Diese Frage ist jedoch keine Problematik der GEMA, sondern vielmehr ein allgemeines Problem des AGB-Rechts.
Was bedeutet das für mich als Arzt?
Falls Sie einen Vertrag mit der GEMA abgeschlossen haben, können Sie diesen eventuell kündigen. Die GEMA hält weiterhin einen Tarif für Arztpraxen vor. Eine Lizenzierungsverpflichtung besteht, soweit die Voraussetzungen des Urteils des EuGH auf Sie zutreffen, für Sie nicht. Spielten Sie bislang urheberrechtlich geschützte Musik ohne Vertrag mit der GEMA ab, ist dies nicht unbedingt notwendig. Sollte die GEMA dennoch auf Sie zukommen, kann sich gegen die Forderung häufig gewehrt werden.
Doch Vorsicht: Handelt es sich nämlich nicht um eine kleine Praxis, sondern um eine größere Einrichtung, kann trotz des EuGH-Urteils eine Lizenzierungsverpflichtung bestehen. Beispielhaft sei dabei ein Urteil des EuGH vom 31.05.2016 genannt, in welchem ein Rehazentrum zur Lizenzierung der musikalischen Untermalung verpflichtet wurde. Problematisch ist im Rahmen der entsprechenden Entscheidungen stets, ob eine Öffentlichkeit gegeben ist. Hierfür gibt es leider keine absoluten Zahlen. Je geringer die Frequentierung und der Wechsel der entsprechenden Personen in einer Zeiteinheit ist, desto unwahrscheinlicher ist die Annahme einer öffentlichen Wiedergabe. Genaue Angaben und Voraussagen sind ohne Kenntnis Ihrer Situation vor Ort leider nicht möglich. Wenden Sie sich gerne jederzeit an uns, sollten Sie eine Einschätzung zu Ihrer persönlichen Situation oder eine konkrete Beratung wünschen. Wir sind unter info@steinbock-partner.de oder unter telefonisch jederzeit erreichbar.
Übrigens: Die Entscheidung der GEMA zur Zahnarztpraxis ist selbstverständlich auch auf ähnliche Dienstleistungsunternehmen übertragbar. Die geschilderte Rechtslage gilt also auch für Anwälte, Steuerberater oder ähnliche Unternehmen.